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François ROSSÉ

François Rossé wird am 16. Juni 1945 in Reichshoffen im Elsass geboren. Er eignet sich sein musikalisches Wissen anfangs fast ausschließlich autodidaktisch an. Erst mit 17 Jahren nimmt er regelmäßig Instrumentalunterricht am Conservatoire de Strasbourg (Klavier bei Alphonse Foehr) und wechselt dann an die École Normale de Musique de Paris (Jeannine Bonjean). Die ersten Schritte im musikalischen Schaffen – er beschreitet zunächst den Weg einer nicht partiturbezogenen instrumentalen Auseinandersetzung – schärfen sein Bewusstsein für die besondere Relevanz kompositorischer Verfahrensweisen, bei denen Schriftliches und Taktiles (also Nichtschriftliches) eine substanzielle wechselseitige Verbindung eingehen (das wird von zentraler Bedeutung für sein zukünftiges Vorgehen sein).
Nach einem intensiven Studium der klassischen Notation und Musikanalyse am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris, das er 1974 abschließt, vertieft er sich in der Klasse von Olivier Messiaen und Betsy Jolas in die Komposition. Die ethische Orientierung (eines katholischen Humanismus?), der sich Olivier Messiaen zunehmend zu verschreiben scheint, ist bestimmend für Rossés Begründung des Schöpfungsaktes (wenn auch mit anderen Bezügen). Ivo Malec wiederum, der in einer hochengagierten Ausdrucksweise eine anspruchsvolle Reflexion in den Schöpfungsakt einführt, übt in methodischer Hinsicht einen enormen Einfluss auf Rossés Kompositionsstil aus; auf diese Zeit gehen Werke von einer äußerst radikalen Vorgehensweise zurück, beispielsweise Frêne égaré (Struktur für Schauspieler-Instrumentalist) oder Pendularium (Struktur für Struktur).
Die gemeinsamen Projekte mit Jean-Marie Londeix (1978) und Daniel Kientzy (1982) sind wichtig im Hinblick auf den multidimensionalen (akustischen und szenischen) Zugang zum Instrument; in diesem Zusammenhang entstehen Werke wie Spath, Quartz 01 04 oder Level 01 04. Eine weitere wichtige Begegnung in den 1980er-Jahren ist die mit Étienne Rolin, der damals ganz ähnliche Ziele verfolgt wie Rossé (man denke zum Beispiel an die politische Wahrnehmung in der Polyphonie).
1979 gewinnt François Rossé mit seiner Klasse für Musikanalyse am Konservatorium C.N.R. de Bordeaux den Zweiten Preis des Wettbewerbs „Concours National Musique et Informatique“, dem Iannis Xenakis vorsitzt. Diese Schaffensphase zeichnet sich, was die kompositionelle Ausrichtung betrifft, durch die Abwendung von der akustischen, „mineralischen“ Komplexität (der mikropolyphonischen eines Ligeti beispielsweise) und die Hinwendung zu einer gleichsam eher „biologischen“, „anthropologischen“ und „kulturellen“ Komplexität aus (aus einem anderen Erkenntnisprozess heraus). Der Übergang von der Polyphonie zur „Soziologie“ macht Lösungen auf der begrifflichen Ebene der Partitur erforderlich (sie wird in die Lage versetzt, diese Option offen, das heißt live einzuführen). Werke wie Cordée, Bachflüssigkeit, Oem, Mod’son 1 à 7 folgen dem Traum vom osmotischen Austausch zwischen scheinbar getrennten Räumen (des Mineralischen bis Kulturellen).
Biologisch betrachtet scheint eine geschickt verhandelte Antwort oder eine im plötzlich eintretenden Fall (selbst verursacht oder nicht) passende Reaktion ein schöpferischer Akt zu sein. Für den Komponisten ist es selbstverständlich, dass diese „kreative“ Tugend im Ausdruck eines Handwerks zur Geltung kommt, das angesichts des Unvorhersehbaren scharfsinnig, wendig und effizient ist. Ein kreatives Leben, das jederzeit flexibel neu verhandelt wird; gleich Lebewesen nisten sich Sonorium d’Angers, Hydr’opus, 0 Yelp, KRPT, Révolutions, Baiser de Terre, Corderie, Soupir cosmique usw. fest, ja belagern zufällig einen Schauplatz (eine Anregung).
Die Hoffnung auf körperliche (und geistige) Erfüllung des instrumentalen Gestus ist in den Sätzen Mod’son 17 (1986) und L’arc Fauve (1987) explizit enthalten. Eine alte archaisch-gymnastische Suche … ein flüchtiger Einblick in unsere Ganzheit?

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François Rossé erhielt zahlreiche Einladungen als Redner und Komponist im Rahmen von Vorlesungen und Kompositionsprojekten (Universitäten von Bordeaux, Toulouse, Lille, Straßburg, IPMC, CFPC, IRCAM, Conservatoire Royal de Liège, La Réunion usw.). Er ist Mitbegründer und Mitglied des seit 1987 bestehenden Vereins „Interprètes et Compositeurs d’Aquitaine pour la Recherche“. 1991 wurde er zum Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres ernannt.
1993 umfasste sein Werkkatalog mehr als 160 Kompositionen für sehr unterschiedliche Gattungen (u. a. für Solisten, kammermusikalische Ensembles mit oder ohne Elektroakustik, große klassische oder spezielle Besetzungen). Knapp ein Dutzend davon entstanden im Auftrag des französischen Staates. Rund zwanzig Werke existieren als Radioaufzeichnung und zehn als Einspielungen auf Schallplatte.
François Rossé ist im Programm zahlreicher internationaler Musikfestivals vertreten (Festival d’Angers, Semaines Musicales d’Orléans, Darmstadt, MANCA in Nizza, Festival de Vitoria, Rassegna di musica contemporanea di Roma, Weltsaxophonkongress in Nürnberg, Washington D. C., Bordeaux-Madrid usw.).